Tansania

Solarstrom für Ibungila

Tansania, Southern Highlands, 70 Kilometer nördlich vom Malawisee. Es ist Mittag, die Sonne steht senkrecht und scheint erbarmungslos herab. Die Gegenstände werfen keinen Schatten mehr. Äquatorialafrika, 1600 Meter hoch. In der Ferne kündigen grummelnde Gewitter die Regenzeit an. Es ist Oktober, und es hat seit April nicht mehr geregnet. Die Erde ist ausgetrocknet, der feinkörnige, fruchtbare Boden vulkanischen Ursprungs wird vom Wind aufgewirbelt. Der Staub legt sich auf alles. Auf die zerschlitzten Blätter der Bananenstauden, auf die Kaffesträucher und auf die Hütten der Nyakyusa. So heißt der Stamm, der im südlichen Hochland Tansanias auf den Hügeln um die Stadt Tukuyu siedelt. Noch heute bezeugen Befestigungsanlagen, in Straßenkarten als “German Colonial Style Building” ausgewiesen, auf der höchsten Erhebung der Stadt deutsche Kolonialgeschichte.

8 km entfernt von Tukuyu, in traumhaft schöner Umgebung, von 2900 Meter hohen Bergen umgeben, liegt das Dorf Ibungila inmitten von Bananenwäldern. Wir erreichen es über einen holperigen Feldweg, der von Tukuyu hinabführt. Der Unkundige hat Schwierigkeiten, die Dorfgrenzen auszumachen. Doch nur selten verirrt sich ein Fremder in diese Gegend.

Das Dorf Ibungila ist auf einem langgezogenen Hügel gelegen, der sich – flankiert von anderen – fingerartig in eine Hochebene streckt. Es ist ein dichtbesiedeltes Gebiet. Auf jeder Parzelle steht, versteckt von Kaffesträuchern und den Schöpfen der Bananenstauden, eine Hütte. Meist ist sie aus selbst getrockneten Lehmziegeln errichtet – die Ziegel bröckeln, die Erde taugt nicht für diesen Zweck. Gebrannte Ziegel und Zement müssen von weit her aus der Fabrik herangeschafft werden, unerschwinglich für die meisten Dorfbewohner. Die Hütten sind mit Palmwedeln oder – komfortabler – mit Wellblech abgedeckt. Hühner, eine Ziege oder eine Kuh finden im Bananenwald ihr Auskommen.

Um ihr Auskommen zu finden, gingen die Männer der Nyakyusa früher zur Lohnarbeit in die Kupferminen nach Sambia. Seitdem der Abbau nicht mehr lohnt, gehen sie in die großen Städte, vor allem in die Hauptstadt Dar es Salaam, am Indischen Ozean gegenüber der Insel Sansibar gelegen. Die Wellblechdachsiedlungen der Stadt Dar es Salaam wachsen rasend schnell. Wieviele Einwohner die Stadt heute hat, weiß keiner so genau. Offiziell werden 1.8 Millionen Einwohner angegeben – so groß wie Hamburg also. Man kann heute aber schon von der doppelten Einwohnerzahl ausgehen, Tendenz: steigend.

Geht man den leicht abschüssigen Weg von Tukuyu nach Ibungila weiter, so ändert sich das Landschaftsbild . Der Bananenwald tritt zurück, tiefgefurchte Felder säumen den Weg. Angebaut wird Cassava, Maniok. Das stark blausäurehaltige Wolfsmilchgewächs wurde von portugiesischen Sklavenhändlern im 16. Jahrhundert aus Brasilien nach Afrika gebracht. Beim Frittieren entweicht die Blausäure, so daß die stärkehaltigen Wurzelknollen gegessen werden können.

Der Weg geht in einen Trampelpfad über, an dessen Ende sich das Ziel unserer Reise befindet: die Schule des Dorfes. Im Hintergrund baut sich eine gewaltige Gebirgskette auf, deren Gipfel 2900 Meter hoch in den Himmel ragen. Ein Flüßchen faßt das Schulgelände am Fuß des Hügels ein, stürzt sich 20 Meter in die Tiefe und schlängelt sich danach weiter durch die Landschaft. Ein Paradies.

Die Dorfbewohner sagen, daß der Fluß wenig Wasser führt, da es mehrere Monate nicht geregnet hat. Wasserknappheit herrscht, da die Wasserleitung des Dorfes, die Wasser aus den Bergen herbeibringt, beschädigt wurde. Wasser gibt es für eine geringe Gebühr, die das Dorf zu entrichten hat, der Staat betreibt die Wasserversorgung. Und der läßt sich entweder Zeit oder hat kein Geld für die nötige Reparatur. Oder beides. Jetzt tragen die Frauen das Wasser wieder in Kübeln auf dem Kopf zu den Hütten. Wie früher, als es noch keine Wasserleitung gab.

Es ist Samstag, der 4. Oktober 1997. Auf dem Hof der Dorfschule Ibungila liegen die aus Hamburg mitgebrachten Solarmodule und diverse andere Materialien, die zum Aufbau einer Photovoltaikanlage notwendig sind: – 4 Solarmodule, Laderegler, Wechselrichter, Stellage – und 2 Koffer Werkzeug. Wiederum ist der Platz voller Leute. Tags zuvor sind wir mit einer überwältigenden und nicht erwarteten Begeisterung empfangen worden. Die tansanische Tageszeitung Daily News hatte bereits am Vortage unsere Ankunft angekündigt. Wir, das sind 8 Schüler und 4 Lehrer der Gesamtschule Blankenese-Hamburg, die die Herbstferien nutzen, um nach Tansania zu fliegen und ein lange vorbereitetes und vom Hamburger Klimaschutz-Fonds unterstütztes Projekt zu realisieren: Elektrifizierung des Schulgebäudes in gemeinschaftlicher Arbeit mit den Schülern und Lehrern unserer Partnerschule. Das Dorf hat keinen Anschluß an das öffentliche Stromnetz. David Kyungu, der aus diesem Dorf stammt und seit 14 Jahren als Journalist in Deutschland arbeitet, begleitet uns.

Bisher lief alles planmäßig. Das Solarstromkraftwerk haben wir – als Reisegepäck deklariert – unbeschädigt am Flughafen in Dar Es Salaam in Empfang genommen. Ein Glück auch, daß der Zoll uns nicht länger als nötig aufgehalten hat. Autobatterie und Installationsmaterialien haben wir unterwegs auf der 1000 km langen Busreise von Dar Es Salaam nach Ibungila gekauft. Unser Konzept sieht vor, möglichst viel Material in Tansania zu kaufen. Die Photovoltaikanlage soll in den nächsten Jahren für die Nutzer wartungs- und reparaturfreundlich sein. Mit den im Lande käuflichen Materialien sind unsere Partner am ehesten vertraut. Dewegen legen wir auch das gesamte Stromnetz auf 12 Volt-Basis aus und setzen verschiedene Komponenten aus der Autoelektrik ein.

Unsere Partnerschule ist eine secondary school, sie umfaßt die Klassen 8 bis 11, liegt also jenseits der tansanischen Schulpflicht. Sie ist auf Elterninitiative hin entstanden und muß durch Elternmitarbeit und Schulgeld unterhalten werden. Staatliche Unterstützung erhält sie nicht. Die Schule kann nur weiter ausgebaut werden, wenn Eltern die Gebäude selber errichten. Die Lehrkräfte verdienen 130 DM im Monat. Zum Teil kommen sie und die Schüler täglich in einem einstündigen Fußmarsch von Tukuyu zur Schule. Die Ausstattung der Schule liegt jenseits der Grenzen unserer Vorstellungskraft. Bis auf den schier unglaublichen Idealismus der Lehrer und den unbedingten Lerneifer der jungen Afrikaner gibt es praktisch nichts. Das langgestreckte Gebäude beinhaltet vier Räume ohne Fenster, nur zwei der Räume haben Türen und verriegelbare Fensterläden. Das Dach ist noch undicht, einen Fußboden gibt es nicht, jeder Schritt verursacht Staubaufwirbelungen. Genügend Tischbänke sind vorhanden, eine verputzte Wand dient als Tafel. Einige Bücher stehen im Büro des Schulleiters und werden nach Bedarf ausgegeben. Das Arbeitsmaterial der Schüler besteht aus Stift und Zetteln.

Die Schule ist das größte Gebäude im Ort. Es soll zum kulturellen Zentrum des Ortes ausgebaut werden, und wir werden es mit Elektrizität versorgen. Gleichzeitig wird die Solaranlage ein Unterrichtsgegenstand, der es ermöglicht, am praktischen Beispiel die Gesetze der Elektrik zu verstehen. In Hamburg hatten wir unser Projekt bis ins Detail geplant. Selbst bei der kleinsten Schraube haben wir überlegt: Brauchen wir sie? Nehmen wir sie mit oder können wir sie in Tansania kaufen? Zu unserer Ausrüstung gehören Lötkolben, Meßgeräte, Akkuschrauber und eine Videokamera. Um die Akkus der verschiedenen Geräte zu laden, haben wir auch einen AC/DC-Konverter, der aus 12 Volt Gleichspannung 230 Volt Wechselspannung erzeugen kann, im Gepäck. High -Technology im Paradies.

Es beginnt eine Woche intensiver Arbeit. Tag für Tag stellen wir einen Trupp deutscher und afrikanischer Schüler und Lehrer zusammen, der die Module verschaltet, aufs Dach bringt, in allen Klassen Leitungen verlegt, Steckdosen und Schalter anbringt. Die Zusammenarbeit wird immer besser. Wir wissen, daß uns der Ruf vorauseilt, am liebsten 25 Stunden am Tag zu arbeiten. Doch die afrikanischen Jugendlichen und Lehrer machen es uns leicht. Anfängliches neugieriges Staunen weicht schnell dem Wunsch mitzumachen. Bald hantieren sie sicher mit Werkzeugen, Bohrmaschinen und Meßgeräten. Die Verständigung klappt bestens. Zwischen die praktischen Arbeiten schieben wir immer wieder Trainingsstunden. Wir haben schriftliche Materialien mitgebracht, Schaltbilder, Bedienungsanleitungen auf Englisch. Unser Projektziel besteht darin, daß die Lehrer und die Besten der Schüler am Ende unserer Reise die Komponenten und die Funktionen der Photovoltaikanlage komplett verstehen und somit in Besitz nehmen können.

Trotz der präzisen Vorbereitung des Projektss tritt am zweiten Arbeitstag ein unvorhergesehenes Problem auf. Ibungila liegt 8° südlich des Äquators, die Module müßten möglichst horizontal installiert werden, um eine hohe Lichtausbeute zu gewährleisten. Die Solarmodule lassen sich aber nicht wie geplant mit geringer Neigung auf dem Dach befestigen. Die Dachhaut aus Wellblech ist viel zu dünn, um die Last der Module auf Dauer auch bei Wind zu halten. Wir entscheiden uns, der Dachneigung von 25° zu folgen und die Module in den Dachsparren zu verankern. Doch genügend lange Schrauben haben wir nicht mitgenommen. Wir verbringen einen ganzen Tag in den zahlreichen Läden von Tukuyu auf der Suche nach geeignetem Material. Die Händler sind ausgesprochen freundlich und hilfsbereit und reichen uns von Geschäft zu Geschäft. Zuletzt entdecken wir in einem Fahrradgeschäft 250 mm lange Fahrradlenkerbolzen aus chinesischer Fabrikation, die uns geeignet erscheinen. Am nächsten Tag können wir die Solarmodule tatsächlich mit diesen Bolzen auf dem Schuldach befestigen.

Die Klassenräume der Schule des kleinen tansanischen Dorfs Ibungila sollen am Freitag, den 10. Oktober 1997, nach einwöchiger Arbeit zum ersten Mal mit elektrischem Licht beleuchtet werden. Das Dorf hat sich nachmittags zu einem großen Fest, auf dem traditionelle Tänze der Nyakyusa gezeigt werden, versammelt. Ein Fersehteam ist auch anwesend. Nachdem der Tag ohne die in Europa gewohnte Dämmerung zu Ende gegangen ist, versammeln sich Dorfbewohner, Schüler und Lehrer in den Klassenräumen. Wir sprechen zwar kein Nyakyusa, dennoch teilt sich uns die Spannung beim Count-down mit. Als die Lampen nach einem kurzen Flackern erleuchten, freuen wir uns genauso wie unsere tansanischen Gastgeber. Obwohl uns der Umgang mit elektrischer Energie doch eigentlich vertraut ist.

Unsere Messungen an den darauffolgenden Tagen zeigen, daß das 200-Watt Solarkraftwerk in der äquatorialen Sonne und in 1600 Meter Höhe an einem Tag zwischen 1,4 und 1,6 Kilowatt-Stunden (kWh) elektrische Energie erzeugen kann. Die sechs im Schulgebäude installierten 12 Watt-Energiesparlampen könnten die ganze Nacht leuchten und es bliebe immer noch ein Überschuß für den Betrieb von kleinen Werkzeugmaschinen, Laborgeräten, eines Radios oder eines kleinen Kühlschrankes.

Tansania deckt einen großen Teil seines wachsenden Bedarfs an elektrischer Energie durch ein großes Wasserkraftwerk in Mtera. Dessen Becken sind zur Zeit – am Ende der Trockenzeit – fast leergelaufen. In den großen Städten führt das zu Rationierungen. Ganze Stadtteile werden regelmäßig für eine ganze Nacht vom Netz genommen. Das muß als Hemmschuh jeglicher wirtschaftlichen Entwicklung wirken, insbesondere in den Städten. In den tansanischen Zeitungen wird das Problem diskutiert und die Forderung nach Diversifizierung der Energieversorgung erhoben. Erdöl, Gas oder Kohle müßten importiert werden, Devisen aber fehlen. Zudem bedeutet die Verbrennung der fossilen Energieträger immer Steigerung der CO2-Emmission. Angesichts der Leistungsfähigkeit der kleinen Solarstromanlage auf dem Schuldach Ibungilas geraten wir ins Schwärmen: Welche hervorragenden Entwicklungsmöglichkeiten hätte Tansania, wenn es gelänge, die Technologie der Photovoltaik in diesem Land, das im Sonnengürtel unserer Erde liegt, in großem Maßstab einzusetzen?