Bau einer Photovoltaikanlage an der Gesamtschule Blankenese
Die Idee und der Wunsch, eine Photovoltaikanlage zu bauen, entstand im Fach Natur und Technik. Dieses Fach ist im Wahlpflichtbereich der Hamburger Gesamtschulen angesiedelt und bietet Raum, auch große Projekte anzugehen. Inhaltlich läßt der Lehrplan genügend Möglichkeiten zur eigenen Schwerpunktsetzung. Die ursprüngliche Motivation entsprang der „Beschränkung“ des traditionellen Physikunterrichts, der in der Regel über das Experiment nicht hinauskommt. Untersuchungen und Problemlösungen, die praktischen Lebenserfahrungen entspringen, konnten in diesem Wahlpflichtfach, das zunächst im Physikraum, im Laufe der Zeit jedoch vermehrt in einer eigenen Werkstatt unterrichtet wurde, besser behandelt werden. An unserer Schule bildet ein roter Faden des Natur & Technik-Unterrichts die Erforschung der Solartechnik und die Beschäftigung mit deren Möglichkeiten. Die konventionellen Energieträger sind endlich und die Schäden, die ihr Gebrauch für uns Menschen, unsere Kulturgüter und die Natur nach sich ziehen, verschlimmern sich. Die Menschheit, die auf Energie angewiesen ist, wächst, besonders in den Entwicklungsländern. Erneuerbare Energien spielen somit in Szenarien zur zukünftigen Energieversorgung eine herausragende Rolle und zweifellos bilden die Fragen der Energieversorgung eins der Schlüsselprobleme aller hochentwickelten Industriegesellschaften. Die Erkenntnis, daß die zukünftige Energieversorgung und -nutzung zu einer Überlebensfrage der Menschheit wird, kann als das zentrale Lernziel unseres Natur und Technik-Unterrichts im Wahlpflichtbereich formuliert werden. Schon mit dem Beginn des Wahlpflichtunterrichts im siebten Jahrgang gewinnen die Schüler die ersten Erfahrungen mit der Solartechnik durch den Bau kleiner, funktionsfähiger Ladegeräte.
Zwei Voraussetzungen, die den Bau einer Photovoltaikanlage ermöglicht haben, sind damit benannt: 1. die Beschäftigung mit solarer Energietechnik und – infolgedessen – das Auslösen einer Faszination bei fast allen Schülern; 2. die Möglichkeit des Projektunterrichts im Wahlpflichtbereich.
Wie aber eine Photovoltaikanlage finanzieren?
Zur Klärung dieser Frage war die Stadt behilflich: In Sommer 95 legte der Hamburger Senat in Kooperation mit den Hamburger Electricitätswerken (HEW) im Rahmen des „Energiekonzepts Zukunft“ eine neue Einspeisevergütung für Photovoltaikstrom festgelegt: Für jede erzeugte Kilowattstunde Solarstrom werden seitdem mindestens 1,80 DM gezahlt. Wir waren überzeugt, daß wir unter dieser Voraussetzung eine Photovoltaikanlage aufbauen könnten, deren Investitionskosten durch die jährlichen Erträge gedeckt werden.
Unser Konzept sah folgende Eckdaten vor:
- Investitionskosten der Photovoltaikanlage (1 kW): 16000,00 DM
- Energieertrag pro Jahr dieser Anlage: 750 kWh
- Einnahmen pro Jahr (750 x 1,80 DM): 1350,00 DM
Uns stellte sich die Aufgabe, zunächst die Investitionssumme aufzubringen. Wir beschlossen, 16000,00 DM innerhalb der Schulgemeinde und im Stadtteil zu sammeln. Wir gaben „Schuldurkunden“ im Nennwert von 100,00 DM aus, die durch die Einspeisevergütung in den nächsten Jahren wieder auslösen werden.
Unsere Finanzierungskampagne, die wir Ende Oktober ’95 mit Presseunterstützung starteten, wurde ein riesiger Erfolg: Schon Mitte Dezember war klar, daß wir unsere Zielmarke „16000,00 DM“ weit überschreiten würden. Schließlich konnten wir über 29000,00 DM verfügen. Den größten Anteil an diesem Erfolg haben die Eltern der Schülerschaft. Von den Bewohnern des Stadtteils kamen mehrere tausend Mark, insbesondere von der „Umweltgruppe Elbvororte“, die – als sie von unserem Projekt erfuhr – sofort eine Anschubfinanzierung über 6000,00 DM in Aussicht stellte. Auch das Kollegium beteiligte sich eifrig, ausdrücklich erwähnenswert ist jedoch, daß es viele Schülerinnen und Schüler gab, die innerhalb ihrer Klasse gesammelt haben, so daß diese Klassen ebenfalls Besitzer einer „Schuldurkunde“ sind. Für uns ist die hohe Bereitschaft der Eltern und auch der Bewohner des Stadtteils, den Bau der Photovoltaikanlage zu unterstützen ein Hinweis darauf, daß die Kombination von umweltschonender Energietechnik und Erziehung ein hohes Ansehen genießt. Dafür spricht auch, daß das Modell der GS Blankenese mittlerweile von vielen Schulen in Hamburg mit ähnlichem Erfolg wiederholt worden ist. Kurzum: Unsere Anlage ist größer als geplant gebaut worden. Am 6. Juni 1996 ist sie mit einer Spitzenleistung von 1,71 kW ans Netz gegangen. Ende Januar hatte sie ihre erste Megawattstunde produziert. Sie wird der Schule jährlich etwa 2500,00 DM einbringen.
Kern dieses Projekts, das zeitweise zwecks begleitender oder unterstützender Aktionen mehr als 150 Schülerinnen und Schüler der GS Blankenese eingebunden hat, waren zwei Natur- und Technikkurse und ein Arbeitslehrekurs. Ihnen war die Aufgabe übertragen, möglichst viel von der Anlage zu bauen. Die Schule verfügt über große Flachdächer, die ideale Voraussetzungen für die Aufstellung von Photovoltaikanlagen bieten: Sie haben eine Südausrichtung und sind zu keinem Tageszeitpunkt beschattet. Es bot sich also an, die Anlage auf einem dieser Dächer zu installieren. Sobald sich herausgestellt hatte, daß die Finanzierung gesichert war, konnte mit der Projektierung der Anlage begonnen werden. Wir wollten für die Photovoltaikanlage ein völlig neues Modul der Firma ASE (ASE-300-DG/50) mit einer Nennleistung von 285 Watt und den Abmessungen 1892 mm x 1282 mm einsetzen. Dieses Modul ist nach einem neuen Verfahren hergestellt, bei dem dünne Siliziumoktagene aus der Schmelze gezogen werden, die bereits die Dicke der späteren Solarzellen aufweisen und so durch Wegfall der sonst üblichen Sägeverluste eine optimale Materialausbeute ermöglichen. Durch die verhältnismäßig große Fläche des Moduls (ca. 2,5 m2) waren lediglich 6 Module zu installieren, um die Nennleistung von 1,71 kW zu erzielen. Die geringe Anzahl der Module erlaubte uns eine einfache Konstruktion des Trägergestells. Gleichzeitig waren die Leistungsdaten des ASE-Moduls im Vergleich zu anderen Modulen überzeugend. Neben konstruktiven Aufgaben waren also Marktbeobachtung und -analyse notwendig.
Das Trägergestell besteht aus einer Reihe von Dreiecken, die aus Stahlwinkeln aufgebaut sind und deren Hypotenuse einen Winkel von 35° gegenüber der Waagerechten aufweist. Dieser Aufstellwinkel ist im Hamburger Raum ideal. Wir haben auf Schweißarbeiten weitgehend verzichtet, um möglichst viel Eigenarbeit der Schüler zu gewährleisten. Die Schenkel des Stahldreiecks werden durch Knotenbleche gehalten und sind ausschließlich verschraubt. Jedes Trägerdreieck steht auf Betonfüßen. Auch diese Betonfüße wurden von Schülern hergestellt, indem zunächst die Form aus Holz und anschließend der Fuß aus Beton gegossen wurde. Die Betonfüße – insgesamt 14 mit je einer Masse von 50 kg – gewährleisten einen sicheren Stand der Anlage bei jedem Wind. Die Auslegung des Trägergestells erfordert den Erwerb einiger Kenntnisse über Mechanik, Statik und den Leistungsinhalt des Windes.
Parallel zum Bau des Trägergestells wurden die Solarstromleitungen installiert, ebenso der Gruppenkasten und der Wechselrichter. Die Firma Ad Fontes hat uns während der Installationsarbeiten hilfreich beraten und die gesamte Anlage zum Schluß überprüft und an das 230 Volt-Netz angeschlossen.
Der Solargenerator der Gesamtschule Blankenese besteht in seiner ersten Ausbaustufe aus sechs Modulen und ist 15 m² groß. Die maximale Leistung wird bei strahlender Sonne erreicht und beträgt 1,71 kW. Je zwei dieser Module sind zu einem String hintereinandergeschaltet, um die notwendige Eingangsspannung von ca. 100 Volt für den Wechselrichter zu erreichen. Der Solarstrom eines jeden Strings wird getrennt zum Gruppenkasten geführt. Dort wird er gesammelt und auf einer Schiene dem Wechselrichter zugeführt. Dieser formt den Solarstrom in Wechselstrom um und paßt ihn automatisch der Phase der hauseigenen Wechselspannung an. Über einen Zähler fließt der Wechselstrom in das öffentliche 230 Volt-Netz. Nach unseren Berechnungen werden sich mit dieser Anlage am Standort Hamburg jährlich etwa 1300 bis 1400 kWh erzeugen lassen. Da der Wechselrichter 2,5 kW verarbeiten kann, ist ein Ausbau auf insgesamt 8 Module möglich. In der Tat haben Schüler den Ausbau der Anlage beschlossen. Zur Zeit findet dieser Ausbau statt.
Knapp 1 Prozent ihres elektrischen Energiebedarfs erzeugt die GS Blankenese jetzt selber. Das ist verschwindend gering, aber die Realisierung des Solarprojekts zeigt, daß Schule nicht nur als Konsument öffentlicher Gelder auftreten muß, sondern ebenso – wenn auch in geringem Umfang – als Produzent ihrer eigenen materiellen Voraussetzungen agieren kann. Die Investitionskosten sind produktiv verausgabtes Kapital. Dessen Anlage garantiert immerhin die Produktion eines – wenn auch geringen – Teils der elektrischen Energie mit umweltschonender Technik.
Der Umstand, daß Schüler ein funktionsfähiges Produkt auf hohem technischen Niveau realisieren können, ist gleichzeitig das „Geheimnis“ ihres Stolzes und gewachsenen Selbstbewußtseins. Der Lerneffekt, der sich bei den Schülern eingestellt hat, ist erheblich. Es gibt eine Anzahl erwachsener Menschen, die uns diese Tatsache immer wieder bestätigen, sobald sie mit unseren Projektschülern deren „Fachgebiet“ diskutieren. Ohne Übertreibung können wir sagen, daß ihnen beispielsweise das Ohmsche Gesetz oder die Leistungsformel kein Buch mit sieben Siegeln mehr ist, sondern handhabbares Rüstzeug.
Im Verlauf des Projekts haben sich folgende Aufgabengebiete herauskristallisiert:
- Planung und Organisation der Finanzierungskampagne,
- Auswahl des PV-System,
- Darstellung des Projekts in der schulinternen Öffentlichkeit,
- Darstellung des Projekts für Printmedien und Fernsehen,
- Konstruktion und Bau des Trägergestells (Stahl- und Betonarbeiten),
- Montage und Verschaltung der Module,
- Installation des Computers zwecks Datenauswertung,
- Auswertung der Meßergebnisse, Kommunikation mit anderen Schulen.
Die langandauernde Arbeit an einer Fragestellung erfordert ein hohes Maß an Arbeitsteilung und Kooperation. Nicht alle konnten dasselbe machen, da es um ein einziges, allerdings umfangreiches und hochwertiges Produkt ging. Verschiedene Schüler mußten und wollten Verschiedenes verrichten. Die Tätigkeiten ergaben sich aus der gestellten Aufgabe und im Verlauf der Arbeit entwickelte sich der eine zum „Elektriker“, der nächste zum „Metaller“, der dritte beschäftigte sich am liebsten mit Planung und Organisation, der vierte mit Fragen der Elektronik etc. Da nur selten mehr als drei Schüler an der Bewältigung einer Detailaufgabe saßen, waren für jede wöchentliche Projektzeit mehrere Arbeitsschritte auszuarbeiten, die zeitlich und inhaltlich aufeinander bezogen sein mußten. Das gemeinsame Produkt, die Photovoltaikanlage, aber war mehr als die Summe der einzelnen Arbeitsergebnisse. Zu lernen, daß im Team Leistungen erbracht werden können, die individuell so nicht erbringbar sind, das war der entscheidende soziale Lernerfolg des Kurses.
Es ist wahrscheinlich unmöglich, solch ein Projekt, wie wir es durchgeführt haben, ausschließlich einer einzigen Fachdisziplin zuzuordnen. Indem es Begriffe wie Strom, Spannung, Widerstand, Leistung, Reihen- und Parallelschaltung innerhalb der praktischen Tätigkeit immer wieder aufnimmt und klärt, indem Untersuchungen durchgeführt und Berechnungen angestellt werden müssen, trägt es physikalische und mathematische Elemente in sich. Es verlangt aber auch handwerkliche Tätigkeiten wie Metallbearbeitung oder Installationarbeiten. Solche Tätigkeiten werden im allgemeinen der Arbeitslehre zugeordnet. Die während des Projekts zu beobachtenden Erkenntnisgewinne der Schüler in Bezug auf erneuerbare Energiequellen wie auch in Bezug auf Maßnahmen zum Energiesparen und zur rationellen Energieverwendung werden demgegenüber eher im Politik- oder Gemeinschaftkundeunterricht thematisiert.
Wenn der Unterrichtsgegenstand von einer bestimmten Aufgabenstellung definiert wird, wenn zudem Projektkriterien wie praktisches Lernen oder Produktorientiertheit eine wichtige Rolle spielen, so ist es schwer – zuweilen unmöglich -, derartigen Unterricht in ein bestimmtes Fach einzubinden, ohne dessen immanente Systematik zu sprengen. Hieraus den Schluß zu ziehen, die traditionellen naturwissenschaftlichen Curricula seien in einer Vielzahl von Projekten aufzulösen, halten wir nicht für zulässig. Um beispielsweise das physikalische Grundwissen systematisch zu vermitteln und zu trainieren, ist der Lehrgang mit seiner Methodik vermutlich unersetzlich. Der klassische Physikunterricht könnte jedoch durch Projektunterricht wirkungsvoll ergänzt und bereichert werden, wenn dieser im Wahlpflichtbereich angesiedelt wird und dadurch eine eigene Organisationsform und institutionelle Absicherung erhielte. Unser Projekt war in erster Linie von der Thematik her definiert und erst in zweiter Linie – wenn es um die Auswahl geeigneter Lösungsmethoden ging – waren fachliche Kenntnisse gefragt oder mußten erworben werden. Insofern kann ein derartiges Projekt, das innerhalb der Beziehung „Gesellschaft-Schule-Wissenschaft“ angesiedelt ist, auch nicht aus dem linearen Aufbau eines Faches entwickelt werden.
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